In den letzten Wochen habe ich ab und zu die Frage gehört, ob der Bedarf nach Konfliktgesprächen vielleicht gar nicht mehr so stark sein könnte. Die Flüchtlingskrise kocht erstmal nicht mehr so wahrnehmbar: Die Flüchtlingszahlen sind zurück gegangen, vorübergehende Unterkunfte werden wieder abgebaut, kaum jemand trommelt noch Bürgerversammlungen zusammen, um Bedenken über neue Heime zu diskutieren, die montäglichen Demos erzeugen kaum noch Aufmerksamkeit.
Andere Themen sind in den öffentlichen und politischen Fokus gekommen. Hass und Verzweiflung werden in Terroranschlägen manifest. Statt von der Spaltung der Gesellschaft wird zur Zeit mehr über Untergrund-Gesellschaften gesprochen und geschrieben, in denen Hass brodelt und die Bereitschaft zu Gewalttaten wächst.
Ist die Terrorgefahr nun also dringlicher, als Gespräche über Zuwanderung, Sozialpolitik und Zusammenleben in den Städten? Bleibt uns nur noch, mehr Achtsamkeit auf Einzelne zu legen und zu verhindern, dass ihre Verzweiflung sich in Gewalt äußert?
Ich denke, die Zusammenhänge sind so stark, dass eins nicht ohne das andere denkbar ist. Der gesamtgesellschaftliche Bedarf nach Gespräch und gemeinsamer Arbeit an den Problemen ist immer noch da und wird in den nächsten Jahren nur zunehmen:
Um die Flüchtlingskrise ist es nicht leiser geworden, weil die zugrunde liegenden Probleme bearbeitet wären. Es wurden lediglich die europäischen Außen- und Zwischengrenzen wieder dichter gemacht und die Hilferufe damit leiser gestellt. Die Flüchtlingswelle im letzten Jahr war nur ein erster aufrüttelnder Vorbote dafür, dass die alten Funktionsweisen des globalisierten Kapitalismus‘ gerade nach und nach zusammenbrechen und immer mehr Durcheinander entstehen wird. Das Leid, das auch wir mit deutscher und europäischer Wirtschaftspolitik in die Welt gebracht und lange ignoriert haben, kommt trotz immer höherer Grenzzäune auch hier in Europa langsam an und erzeugt auch hier immer mehr Unfrieden.
Und diese Realität wird in der Gesellschaft langsam spürbar: Auch wenn der Streit über das eine Thema (Migration) für den Moment etwas abgenommen hat, wächst die (unbewusste) Wahrnehmung der dahinterliegenden großen Probleme und damit die allgemeine Unsicherheit, Angst, Trauer, Zorn und der Durst nach Lösungen doch immer weiter. Möglicherweise sind sie an vielen Stellen gerade etwas leiser – sich deshalb beruhigt zu fühlen, wäre aber falsch, denn Schweigen ist umso gefährlicher. Im Extremfall bricht es sich in Gewaltakten Bahn.
Mit dem fortschreitenden Zusammenbruch von Finanzsystemen, Wirtschaftszweigen und Volkswirtschaften werden die Spannungen in den nächsten Jahren nicht kleiner, sondern immer größer werden.
Wir brauchen also mehr denn je Gesprächsmöglichkeiten, Austausch darüber, wie wir die Welt sehen, was wir brauchen, um uns sicher zu fühlen, wie wir gemeinsam dafür sorgen können, dass die Grundbedürfnisse aller erfüllt werden und wir in Frieden zusammen leben können.