Dresden zu Zeiten von Pegida und AfD.
Vortrag und Diskussion am 15.06.2016, in der EHS

von Gregor

Die Bürger-Gesprächsrunden zur Frage „Wie geht es weiter in Dresden“ sind am vergangenen Donnerstag zu Ende gegangen. Vor dem Hintergrund einer wahrnehmbaren Spaltung der Stadtgesellschaft in Fragen zur Flüchtlingkrise, hatten Superintendent Behr und Oberbürgermeister Hilbert seit Dezember 2015 etwa einmal im Monat zum Gespräch in die Kreuzkirche eingeladen hatten. Das Ergebnis ist ernüchternd: Viele nutzten die gebotene Bühne, um ihrem Ärger Luft zu machen – Dialog konnte aber aufgrund des Formats nicht wirklich entstehen – eher verhärteten die Fronten. Die Initiatoren meinen nun, in dieser Form könne es nicht weiter gehen, es werden geeignetere Formate gesucht.

Einer, der schon lange an einem geeigneten Format arbeitet, ist Charles Rojzman: Als französischer Jude verlor er im zweiten Weltkrieg den größten Teil seiner Familie und dachte seit dem darüber nach, wie Versöhnung unterstützt werden kann. Neben vielen anderen Berufen war er eine Zeit lang Psychotherapeut und erkannte dabei: Einzelnen zu helfen, reicht nicht – eigentlich brauchen wir als gesamte Gesellschaft eine Therapie. Eine Therapie, die uns wieder lernen lässt, auf konstruktive Weise in Konflikt miteinander zu gehen, offen von unseren Sorgen zu erzählen, andere zu hören und Verständnis füreinander zu entwickeln.

Unter dem Titel dieses Beitrags war Charles Rojzman an diesem Mittwoch in die Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit eingeladen, um seine Gedanken und Konzepte vorzustellen. Obwohl die Einladung bewusst nur vorsichtig über kleine Netzwerke gestreut worden war, kamen etwa 60 Menschen, v.a. aus dem Sozialarbeitsspektrum.

Bürgerkrieg in den Köpfen – ein Teufelskreis von Schuldzuweisungen

Im Setting eines großen Kreises, das Rojzman bewusst einer Hörsaal-Situation vorgezogen hatte, stellte er zunächst seine Sicht auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Schwierigkeiten dar: Auch er beobachtet eine immense Spaltung und ein wachsendes Aggressionslevel in der Gesellschaft, das sich nicht zuletzt in der Zunahme rechts-populistischer Politiken sowie Terroranschlägen äußere. Aber auch an vielen Stellen, wo der Hass sich nicht so offensichtlich Bahn bricht, meint Rojzman, herrsche ein „Bürgerkrieg in den Köpfen“. Und das sagt er als jemand, der schon in vielen echten Bürgerkriegsgebieten als Schlichter gearbeitet hat.

In Umbruchsituationen wie der derzeitigen bekommen viele Menschen Angst vor einer gedachten Bedrohung, die das Fremde für das eigene Leben darstellen könnte: Die eigene Art zu leben könnte in Frage gestellt werden, man könnte Wohlstand oder Liebgewonnenes abgeben müssen. Entsprechend entwickeln Menschen ein großes Bedürfnis nach Schutz und Gehörtwerden. Wenn sie das Gefühl haben, missachtet zu werden, äußern sie das zunächst in Wut oder Resignation, später auch in Gewalt. Rojzman ist überzeugt: Es ist nicht sinnvoll, das zu verurteilen. Vielmehr sollten wir Räume schaffen, in denen es möglich ist, uns gegenseitig zuzuhören, ohne uns zu verurteilen.

Die gesellschaftliche Situation in Dresden und anderswo sei nun aber, etwas vereinfacht, so, dass ein großer Teil der Menschen starke Angst habe und nach Schutz durch Autorität und Abgrenzung rufe – während ein anderer Teil nicht so viel Unsicherheit spüre, und/oder Autorität ablehne, woraus sich oft eine Haltung entwickle, die der der ersten Gruppe entgegen gerichtet ist. Beide Extreme hält Rojzman für gefährlich: Sowohl Verteufelung, als auch Idealisierung des Fremden, sowohl Schuldzuweisungen gegen „die Ausländer“ als auch solche gegen „die Rechten“ seien nicht hilfreich, sondern Übertreibungen, die konstruktive Herangehensweisen erschweren würden.

Seine Schlussfolgerung: Wir müssen lernen, unsere Ideologien loszulassen, Sichtweisen offen auszutauschen und konstruktiv zu streiten. Seine Antwort auf die Frage des Nachmittags ist also: Ja, wir sollten verfeindete Gruppen in engagierte Auseinandersetzung miteinander bringen. Dazu schlägt er eine Methodik vor, die er vor vielen Jahren entwickelt und seither in vielen Krisengebieten der Welt erfolgreich angewandt hat:

Zu den Grundlagen der Thérapie Sociale lesen Sie hier.

Skeptische Nachfragen

In der anschließenden Runde für Fragen und Gedanken dazu, wurde zunächst Skepsis darüber geäußert, ob man mit Pegida-Anhängern überhaupt reden können – seien nicht die meisten von ihnen „kleine Frauke Petrys“ mit festgefahrenen Meinungen? Rojzman betonte, dass es wichtig sei, jedem Menschen seine Individualität zuzugestehen, ihm die Chance zu geben, seine ideologische Schutzhaltung abzulegen und von seinen ganz persönlichen Gefühlen und Gedanken zu erzählen. Das sei in kleinen Gruppen viel einfacher möglich, als in großen Gesprächsformaten.

Als nächstes kam die Frage auf, wer bei der gemeinsamen Betrachtung der spezifischen Situation die Realität definiere. Rojzman meinte dazu, dass es keine Definition gäbe, sondern die Gruppe ihre unterschiedlichen Sichtweisen zusammen bringe und somit im Kopf jedes Einzelnen ein ganzheitlicheres Bild der gemeinsamen Realität entstehen würde. Es sei die Aufgabe der Moderation, die Bedingungen dafür herzustellen, dass dieser Prozess geschehen kann.

Weiterhin wurde die typisch sozialpädagogische Frage gestellt, wer den Handlungsauftrag für eine Thérapie Sociale erteile – und ob die Ziele von Institutionen beeinflusst werden könnten. Die einfache Antwort darauf: Wer auch immer Handlungsbedarf sieht, kann dazu einladen. Wenn dann Institutionen den Prozess gut finden und mit der unparteiischen Haltung einverstanden sind, können sie das auch tun. (Neben der Stadtverwaltung Dresden versuchen Mitarbeiter Rojzmans im Moment auch die kolumbianische Regierung davon zu überzeugen, einen solchen Prozess zu unterstützen.)

Auf die Frage, wie lange ein solcher Prozess dauere und was folgen würde, wenn die ‚Therapie‘ erfolgreich wäre, antwortete Rojzman, es wäre es nicht das Ziel eines Thérapie-Sociale-Prozesses, die Menschen zu heilen, sondern einen Heilwerdungsprozess anzuschieben. Erfolgreich sei er schon, wenn ein paar Menschen hinterher das Gefühl hätten, es habe ihnen geholfen, andere besser zu verstehen – oder sogar sich sogar befähigt fühlen, selbst vermittelnd aktiv zu werden. (Rojzman erzählte auch von einem jungen Mann, der früher Banken ausgeraubt habe und nun Thérapie Sociale bei der Polizei moderiere.) Wenn dann für die weitere Öffentlichkeit deutlich werde, wie hilfreich der Ansatz sein kann, dann, so Rojzmans Vision, würden in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mehr Möglichkeiten zur Ausbildung demokratischer Konfliktfähigkeit geschaffen.

Erfahrungen in Dresden

Im vergangenen Winter wurden in Dresden mehrere Stadtteilgespräche mithilfe der Methodik geführt, zu denen verschiedene bürgerschaftlich Engagierte eingeladen hatten. Die Teilnehmenden berichteten oft begeistert von der Erfahrung des persönlichen Austauschs mit Menschen, von denen sie vorher befürchtet hatten, nicht mit ihnen reden zu können.

Manche befürchteten aber auch, dass das Gesprächsformat eine Bühne für schwer zu bearbeitende Meinungsäußerungen bieten könnte. Verschiedene Akterure übten Druck auf die Initiatoren aus, weil sie sich nicht damit abfinden konnten, das „der politische Gegner“ zu Gesprächen eingeladen wurde. Mindestens ein angedachter Veranstaltungort verschloss aus Angst davor seine Türen wieder. Zudem fehlte es an öffentlicher Unterstützung für den Prozess. So konnten z.B. keine Räume der Stadtverwaltung oder der Uni genutzt werden, sodass große Kosten entstanden. Auch hier konnte es also nicht so leicht weiter gehen.

Auf der einen Seite ein institutionell unterstützter und gut mit öffentlichen Mitteln ausgestatteter Prozess, dessen Methodik wenig funktioniert und auf der anderen Seite ein Prozess, dessen Methodik hilfreich ist, aber angefeindet wird und noch zu wenig Unterstützung durch die Stadtverwaltung erfährt. Bleibt die Frage: Wie können die Enden zusammen geführt werden – „Wie geht es weiter mit Dresden“?

An diesem Wochenende beginnt einevon Rojman geleitete Moderations-Ausbildung, in der Menschen mit Moderationserfahrung lernen sollen, selbst Thérapie-Sociale-Prozesse anzuschieben und Gespräche zu leiten. Das Angebot wird vom Verein Aktion Zivilcourage e.V. aus Pirna getragen. Bis Mitte 2017 werden sieben Wochenend-Trainings stattfinden. Die dabei entstehenden Lernerfahrungen sollen ausführlich dokumentiert und hier zu lesen sein werden.